Freifunk – Memorandum of Understanding

Freifunk ist nach über 10 Jahren sehr erfolgreich, bekannt und verbreitet. Wir sehen jedoch die ursprünglichen Ideen und Ziele von Freifunk nicht (mehr) von allen Communities bzw. Communitymitgliedern berücksichtigt. Es geht uns nicht darum, Communities auszuschließen, die sich mit dem hier formulierten Selbstverständnis nicht identifizieren. Wir sind aber an einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über das interessiert, was wir hier unter dem Label Freifunk gemeinsam tun. Dieser Textentwurf wurde von einer Gruppe aus dem direkten Umfeld des Fördervereins Freie Netzwerke e.V. verfasst. Er ist als Verständigungsgrundlage gedacht und soll alle Communities dazu ermutigen, die angesprochenen Punkte zu reflektieren. Wozu machen wir Freifunk? Welche Ideen stecken dahinter? Welche Ziele verfolgen wir? Nach welchen Prinzipien entscheiden und handeln wir? Das Ziel dieses Textes ist es, ein Verständnis zu entwickeln, das alle Individuen und Gruppen, die unter dem Label Freifunk agieren, verbindet.

Präambel

Freie (Funk-)Netze werden von vielen lokalen Initiativen aufgebaut und angeboten. Die Benutzer*innen sind auch gleichzeitig die Betreiber*innen der Computernetzwerke. Sie schaffen ein “Selbstmachnetz”, indem sie Wohnungen, Häuser, Straßenzügen, Stadtteile, Dörfer oder ganze Städte selbst vernetzen. Ein Freifunk-Netz ist dezentral aufgebaut und wird von vielen Individuen betrieben. Diese dezentrale Organisationsstruktur fördert bewusst lokale Aktivitäten, statt sie von einer übergeordneten Entität steuern lassen zu wollen. “Frei” bedeutet dabei, diese Netze öffentlich und anonym zugänglich zu machen, sie nicht kommerziell zu betreiben oder auszuwerten und die darin transportierten Informationen nicht einzusehen, zu verändern oder zu zensieren. Obwohl sich Freifunk vorrangig auf WLAN-Netze bezieht, ist der Begriff “Freie Netzwerke” breiter zu sehen. Er orientiert sich unter anderem an der freenetworks.org Definition.

Bei aller Dezentralität halten wir es für sinnvoll und wichtig, uns über die Grundsätze und Prinzipien des Projektes Freifunk einig zu sein, damit wir gemeinsam agieren und uns in unserem Handeln gegenseitig unterstützen können.

 Ziele von Freifunk

Obwohl die Nutzung technischer Netzwerke für sehr viele Menschen längst zum Alltag geworden ist, werden die dahinter liegenden Macht- und Wirkmechanismen unserer Meinung nach häufig nicht ausreichend reflektiert. Freifunk hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge in der Gesellschaft zu entwickeln, den freien Zugang zu öffentlichen Netzwerken zu fördern und dabei Anregungen für ein selbstbestimmtes Handeln zu geben. Dabei wollen wir die Bedürfnisse unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen einbeziehen. Diversität und ein breites Spektrum an Ideen verstehen wir als wichtige Grundlagen, um diese Ziele zu erreichen. Wir möchten alle Teilnehmenden (User*innen/Knotenbesitzer*innen) ermutigen, selbst Hand anzulegen und sie dabei unterstützen, sich mit der Materie vertraut zu machen. Uns ist bewusst, dass dies ein aufwändiger Lernprozess ist. Wir möchten aber vermeiden, dass sich (Wissens-)Hierarchien dadurch fortsetzen und verstärken, dass sich Teilnehmende im Freifunknetz einfach “beliefern” lassen wollen. Unserer Ansicht nach führt dies nämlich mit dazu, dass die Grundideen des Selbstmachnetzes verloren gehen.

Als Freifunker*innen beteiligen wir uns am politischen Prozess, um die rechtlichen Voraussetzungen für freie Netze zu schaffen. Die Freifunkbewegung ist dabei überparteilich.

 Prinzipien von Freifunk

Es ist unser Anliegen, das soziale Community-Building und die technische Umsetzung freier Netze in den Communities nach ähnlichen Prinzipien zu gestalten: dezentral, mit möglichst wenigen/flachen Hierarchien und dennoch abgesprochen.

Viele unserer Prinzipien wurden bereits an anderen Stellen formuliert. Als Freifunker*innen bekennen wir uns zu den folgenden bereits existierenden Dokumenten:

 

Technische Prinzipien

Das Pico Peering Agreement ist die Grundlage unserer Netzwerke. Folgende Grundsätze machen für uns ein freies Netz aus:

  • Unsere Knoten bilden untereinander ein Maschennetzwerk. Mit Freifunk-Netz meinen wir dieses vermaschte Netz, das zwischen den Routern entsteht. Es endet dort, wo das Internet beginnt, also dort, wo ein Router den Datenverkehr ins Internet leitet. Und es endet dort, wo das private Heimnetz beginnt.
  • Wir gestalten unsere Netze offen und öffentlich: Alle können eigene Knoten betreiben und dadurch das Netz erweitern.
  • Unser Netz ist anonym zugänglich, weder Nutzer*innen noch Knotenbetreiber*innen sollen sich registrieren oder anmelden um mitzumachen.
  • Unser Netz ist nicht kommerziell.
  • In unserem Netz wird nicht zensiert.
  • Wir halten uns an das Fernmeldegeheimnis.
  • Datenschutz und Datensparsamkeit: Wir speichern weder Verbindungs- noch Bestandsdaten. Wir speichern keine personenbezogenen Daten. Die Angabe von Emailadressen zur Kontaktaufnahme und Geokoordinaten zur Darstellung auf der Karte ist freiwillig.
  • Die Nutzer*innen sind selbst für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ihres Traffics und für Anonymisierung verantwortlich.

 

Wir achten bei der Gestaltung unserer Netze auf Dezentralität. Deshalb ist es nicht in unserem Sinne, dass eine kleine Admingruppe oder Einzelpersonen per Fernzugriff die Kontrolle über ein ganzes (Teil-)Netz haben. Die Knotenbetreiber*innen haben die Wahl, sich für Fernwartung zu entscheiden. Eingriffe in die Knoten, z.B. Firmwareupdates oder andere Fernwartungsarbeiten, müssen immer mit dem ausdrücklichen Einverständnis der jeweiligen Betreibenden geschehen. Knotenbetreiber*innen können sich ferner entscheiden, ob sie auch Internetzugang bereitstellen wollen, sei es für die Teilnehmenden im Meshnetz, sei es für die Öffentlichkeit. Es ist uns dabei wichtig, dass Freifunk nicht in erster Linie als “Provider für kostenlosen Internetzugang” wahrgenommen wird. Entscheidungen über Releases werden in den lokalen Communities gemeinschaftlich getroffen.

Die Firmware für unsere Knoten basiert auf freier Software. Weiterentwicklungen veröffentlichen wir ebenso als FLOSS. Durch eine möglichst gute Dokumentation sollen Betreiber*innen in die Lage versetzt werden, die Firmware selbst weiterzuentwickeln oder Anregungen zur Verbesserung beizusteuern. Die Offenheit schafft Vertrauen in die Software.

Soziale Prinzipien

Ein angenehmes soziales Klima ist uns in unseren Communities wichtig. Bei Freifunk wollen wir erreichen, dass sich Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Glauben, Aussehen, Alter und anderer (tatsächlicher oder zugeschriebener) Merkmale in den Communities einbringen und wohlfühlen können. Der Umgang miteinander soll respektvoll sein; neue Interessierte sind uns stets willkommen. Wir dulden keinerlei Diskriminierungen. Das bedeutet für uns: Wir haben weder Platz für Nazis, noch für Rassismus, Sexismus oder andere Formen von menschenverachtendem Verhalten.

“Mitmachen”, das kann nach unserem Verständnis mindestens alles Folgende bedeuten: Freie Netze nutzen und selbst (mit)betreiben, sich in lokalen Communities sozial vernetzen, in der lokalen oder überregionalen Freifunk-Gemeinschaft mit den jeweils eigenen Fähigkeiten aktiv werden. Mitmachen beschränkt sich keinesfalls auf technische Fähigkeiten. Alle Formen von Engagement sind explizit willkommen und werden als Beitrag zur Community begriffen.

Wir sind uns bewusst, dass in unseren Communities auch Machtfragen auftauchen: Macht, Machtzuschreibung und Machtausübung werden sowohl durch zentralistische soziale, als auch durch zentralistische technologische Strukturen begünstigt. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir nach dem Prinzip der Dezentralität arbeiten. Auch mit dem ungleich verteilten technischen Fachwissen können Machtfragen verbunden sein. Uns ist es wichtig, verantwortungsvoll damit umzugehen, Machtverhältnisse zu thematisieren und – wo möglich – abzubauen. Das möchten wir durch größtmöglichen Wissenstransfer und dezentrale Strukturen erreichen.

Umgang mit Informationen und Wissen

Wir wollen lernen, Netze zu bauen und zu betreiben, statt sie von “Expert*innen” hingestellt und gewartet zu bekommen. Wir nennen das Selbstmachnetz. Wir wollen Menschen befähigen und ermutigen, sich aktiv in die Gestaltung von Infrastruktur einzubringen und die Auswirkungen von Technik auf die Gesellschaft zu erforschen und zu gestalten. Wir fördern das Verständnis von Netzwerken und Netzwerktechnik (“Network/Code Literacy”), deshalb geben wir unser Wissen jederzeit weiter und machen nicht nur Code verfügbar. Wir experimentieren und forschen mit unserer Infrastruktur, deshalb gibt es keinen Anspruch auf permanente Verfügbarkeit.

Selbstmachnetze zu entwickeln ist ein Prozess. Uns ist bewusst, dass wir in diesem Prozess nicht alle Ziele immer gleichermaßen erreichen. Daher hinterfragen wir uns regelmäßig kritisch, ohne uns dabei anzufeinden. Das Lernen und Verbessern sozialer und technologischer Strukturen steht für uns im Vordergrund.

Organisationsformen

Eine Freifunk-Community ist im einfachsten Fall ein loser Zusammenschluss mehrerer Individuen. Lokale Vereine können die Gruppe unterstützen, z.B. beim Spendensammeln oder Abschließen von Verträgen. Die Gründung eines eigenen Vereins ist für Freifunk keine Voraussetzung. Veränderungen werden von allen Aktiven gemeinschaftlich beschlossen, nicht nur von Mitgliedern eines Trägers oder Vereins.

 

Für die wenigen community-übergreifenden Entscheidungen gründen wir den Beirat “Freifunk Advisory Council”, eine Vertretung von Community-Mitgliedern aus den unterschiedlichen Bundesländern. Dieses Gremium kann bei Konflikten zwischen Communities hinzugezogen werden.

Die Quellen sind auf github zu finden: https://github.com/freifunk/MoU

Quelle: Memorandum of Understanding

Über Andreas Bräu

Software Developer Freifunker